logor

Distelblüten

Ein Roman über die Kommission zur Aufarbeitung der Verbrechen unter der chilenischen Junta

Leseprobe:

»Es ist hier besser, möglichst nichts übereinander zu wissen.« Ich hatte begriffen und schwieg von nun an. Die Zeit verging und ich lernte eine ganz andere Welt der Geräusche kennen. Ich hörte die Motoren der Militärfahrzeuge, die regelmäßig am Gebäude vorbeifuhren. Aus den anderen Stockwerken drangen die Geräusche von marschierenden Soldatenstiefeln zu uns. Irgendjemand rief etwas über den ganzen Flur. Man hörte Soldaten, wie sie sich unterhielten, dann und wann lachte jemand laut.

Unsere kleine Zelle war nur etwa 3 x 4 Meter groß und an der Rückwand gab es ein einziges Fenster. Dessen Scheiben hatte man weiß getüncht. Ich saß da und rührte mich nicht. Langsam senkte sich die Dunkelheit über die Kaserne wie ein großer schwarzer Sack. Ich musste an zu Hause denken. Hoffentlich hatte sich meine Verhaftung bei allen herumgesprochen. Am schlimmsten war die Ungewissheit, was weiter passieren würde. Irgendwann knipste im Flur jemand die Deckenbeleuchtung an. Schnell fanden sich die ersten Moskitos ein, die in endlosen Schleifen die Glühlampen umtanzten. Häufig hörte man Türen klappern. Manchmal schlurfte jemand über den Flur. Nach einer Weile wurde irgendwo im Hause ein Radio angestellt. Man hörte den Lautsprecher im ganzen Haus, selbst hier, ein paar Etagen höher.

Unter den Gefangenen machte sich Unruhe breit. Eine Frau in der Ecke sagte leise »Es geht wieder los.« Der Mann neben mir rutschte auf seinem Platz hin und her und flüsterte mir zu »Um diese Zeit beginnen immer die Verhöre. Von hier aus geht es direkt in die Hölle. Dort unten gibt es keine Freunde mehr, kein Vertrauen und keine Zuneigung. Es gibt nichts, was vor der Folter bestehen kann.« Mir wurde ganz trocken im Mund und meine Hoffnung, bald wieder draußen zu sein, verflog augenblicklich. Ich sah hilflos zu Carmen hinüber. Sie blickte mich wortlos an, mit versteinertem Gesicht.

Es dauerte nicht lange, da hörten wir Schritte auf dem Gang. Ein Schlüsselbund rasselte. Jemand öffnete das Gitter und rief eine Anna Cordillera heraus. Aus dem hinteren Teil des Raumes erhob sich eine Gestalt und kam mit unsicheren Schritten nach vorne. Die Wachen griffen sie an den Oberarmen und führten sie ab. Die Gittertür wurde wieder verschlossen. Wir saßen wortlos da und hörten mit ängstlicher Aufmerksamkeit auf die Geräusche im Haus. Schritte auf dem Gang kündigten regelmäßig an, wann der Nächste geholt wurde.

Irgendwann war ich dran. Ein Offizier kam herein und sagte »Die Neue dort.« Mir schwanden augenblicklich die Kräfte. ...