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„Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ (Carl Schmitt)

logor Carl Schmitt, dt. Jurist Quelle: Carl-Schmitt-Gesellschaft e.V. Berlin

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Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war eine spannende Zeit für Lateinamerika: aus den Rissen der verkrusteten Oberfläche der feudalen Gesellschaften brachen gesellschaftliche Konflikte hervor, wie Protuberanzen aus der Tiefe einer Sonne, und sie setzten ungeheure sozialen Energien frei. Wofür Europa zwei Jahrhunderte gebraucht hatte, das passierte in Südamerika im Schnelldurchlauf. Zudem hatten die Menschen den Anspruch, die Fehler der Linken im Ostblock nicht zu wiederholen. So gab es zahlreiche Ansätze, Gesellschaft neu zu denken: Befreiungstheologie, fortgeschrittene Ideologie von Links und von Rechts, Mobilisierung der Massen, Generalstreik, Radikalisierung, Revolution und ... Militärjuntas.

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„Donde existe una necessidad nace un derecho“ (Eva Peron)

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Abb.: Evita Peron - auf Ewig in den Herzen des argentinischen Volkes. Quelle: infobae.com

Nach Schmitts berühmter These kann der Souverän die Außerkraftsetzung bestimmter gesellschaftlicher Regeln verfügen, um sich Handlungsfreiheiten zur Lösung schwerer Konflikte zu verschaffen.

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In Südamerika beanspruchten sowohl linke als auch rechte Gruppen die Rolle des Souveräns. Beide Seiten gingen davon aus, dass gewisse Rechtsübertretungen dabei unvermeidlich seien. Innerhalb weniger Jahre schaukelte sich die Auseinandersetzung weiter auf. In Argentinien verlor zwischen 1974-1976 die Regierung von Juan Domingo Peron die Kontrolle über die Situation. In Chile war zwischen 1970 und 1973 die Regierung unter Salvador Allende unter enormem Druck von linken wie von rechten Kräften.

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In beiden Ländern versagte schließlich die Demokratie. Militärjuntas übernahmen die Macht. Unter dem Deckmantel einer Doktrin der nationalen Sicherheit schränkten sie das öffentliche Recht ein. Auf dem freiwerdenden Gebiet entstand eine Art politisches Niemandsland, in dem Streitkräfte und Geheimdienste jenseits des Gesetzes agieren konnten. Der Widerstand gegen einen derart gewalttätigen Feind konnte aus der Perspektive des Revolutionärs nicht passiv sein, wenn er Aussicht auf Erfolg haben sollte. Daher gab man sich die Bezeichnung 'Militancia'. Sie ist bereits in Senecas Ausspruch 'vivere militare est' (Seneca, Epistulae morales ad Lucilium, 96,5) angelegt.

Die Weichen für die weitere Entwicklung in Richtung Repression, Folter, Widerstand und Befreiung waren gestellt. Fast alle Diktaturen Südamerikas folgten diesem Schema (vgl. Operation Condor).

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Militärdiktaturen stellen jeden auf die Probe, egal auf welcher Seite er/sie steht.

Schmitts These ist viel und konträr diskutiert worden. Bezüglich Südamerika trifft seine Theorie vielleicht genauer als andere Beschreibungsversuche den Kern der damaligen Auseinandersetzungen. Militärdiktaturen stellen jeden auf die Probe, egal auf welcher Seite er/sie steht. Nur Wenige bestehen diese Probe. Ihre Wege sind selten geradlinig. Die tradierten Kategorien von Gut/Böse oder Fortschrittlich/Reaktionär greifen zu kurz, wenn es darum geht, lebensweltliche Aspekte zu rekonstruieren. Literatur kann hier weiterhelfen.

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